Die unsicherste aller Tageszeiten by Thomas Pregel

Autor:Thomas Pregel [Pregel, Thomas]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Größenwahn
veröffentlicht: 2013-08-08T22:00:00+00:00

Ich hatte so sanft wie möglich gesprochen und ihm dabei zur Beruhigung noch das verschwitzte Haar gekrault, dennoch trieb es ihn sofort auf die Barrikaden beziehungsweise Ellbogen:

»Ich würde dich jedes Wochenende in Braunschweig besuchen kommen!«

»Ach? Wirklich? Und wovon willst du das bezahlen?›

»Ich hab einiges gespart.«

»Damit wäre das also geklärt.« Ich dosierte meinen aufkeimenden Sarkasmus so, dass es wirkte, als hielte ich seine Naivität für liebenswert. »Und was würdest du deinen Eltern sagen?«, fuhr ich fort. »Glaubst du wirklich, die würden dich kommentarlos jedes Wochenende nach Braunschweig fahren lassen? Die wollen bestimmt wissen, was du da machst. Und mit wem.«

Tim schwieg einen Moment wie ausgebremst, dann kam es leise, aber bestimmt: »Die Wahrheit.«

»Die Wahrheit, klar.« Mein Sarkasmus wurde ätzender, auch körperlich hielt ich ihn jetzt etwas mehr auf Distanz, indem ich mich ein wenig weiter aufsetzte. »Und du glaubst wirklich, die würden sie so einfach akzeptieren und dich dann jedes Wochenende nach Braunschweig zu einem wildfremden Mann fahren lassen? Du bist noch nicht einmal volljährig, sie könnten es dir verbieten.«

»Sie müssen. Und sie werden. Ich kenne meine Eltern, die haben nichts gegen Schwule.« Vollkommen von seinen Worten überzeugt, kuschelte er sich wieder stärker an meine Brust.

Ich schob ihn weg.

»Woher weißt du das? Haben sie schwule Freunde? Engagieren sie sich politisch? Was sagt zum Beispiel dein Vater, wenn das Thema plötzlich aufkommt und er, ohne lange darüber nachzudenken, einfach mal seine Meinung sagt?«

Und dieses Mal schlug die Unsicherheit Wurzeln in ihm.

»Ich … Wir sprechen nie über so etwas … glaub ich …«

»Siehst du? Deshalb solltest du den Mund lieber nicht zu voll nehmen. Du weißt überhaupt nicht, was passiert, wenn du dich outest. Selbst wenn es für deinen Vater okay sein sollte, dass die Söhne anderer Eltern schwul sind, so machen doch gerade Väter, wenn es um ihre eigenen Söhne geht, gerne eine Ausnahme in Sachen Toleranz.«

Besonders dann, wenn der Vater selbst eine Schrankschwuchtel vor dem Herrn ist und nur im Geheimen, Unterdrückten seinen homoerotischen Neigungen frönt, um sich vor der eigenen Krise, die es auslösen würde, käme das heraus, zu bewahren. Das konnte ich Tim natürlich nicht sagen, stattdessen riet ich ihm, lieber im Schrank zu bleiben und die Fehler seines Vaters zu wiederholen – selbst mir wurde heiß und kalt, als ich begriff, was ich da gerade tat, nur um meinen Kopf aus dieser Schlinge zu ziehen.

Zum Glück konnte Tim gar nicht begreifen, was ich hier tat, auch war er längst Feuer und Flamme für seinen Plan, seine Zukunftsvision für uns. Sie sprudelte nur so aus ihm heraus:

»Außerdem wärst du ihnen dann gar nicht mehr unbekannt, weil sie dich längst kennengelernt haben werden. Noch ist schließlich Zeit, noch kann ich dich ihnen vorstellen. Sie werden dich mögen, ganz sicher. Wenn ich dich mag, mögen sie dich bestimmt auch. Wir können doch gleich losgehen und es ihnen sagen. Oder ich geh erst mal allein, und du kommst dann nach. Oder ich sage es ihnen, komme dann zurück, wir verbringen die Nacht zusammen und du bringst mich morgen zur Fähre, wo sie dich kennenlernen können.

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